Hubertus Schmoldt zum Jahreswechsel
Der IG BCE geht es im kommenden Jahr vor allem darum, Beschäftigung zu sichern. Dies unterstreicht der Gewerkschaftsvorsitzende Hubertus Schmoldt in seinem Kommentar zum Jahreswechsel im jetzt erscheinenden Mitgliedermagazin „kompakt“. Die Vorschläge und Forderungen der IG BCE sind in einem Zehn-Punkte-Programm zusammengefasst.
Die Ausdehnung des Kurzarbeitergeld auf 18 Monate wird von der IG BCE begrüßt, diese Regelung bietet eine effektive Überbrückungshilfe. Viele mittlere und kleinere Unternehmen haben jedoch unterdessen angekündigt, die Kurzarbeit nicht zu nutzen. Diese Haltung wird in der Regel begründet mit einem Hinweis auf die voll fortlaufenden Sozialversicherungskosten, die nicht getragen werden könnten.
„Um Entlassungen zu vermeiden, muss hier gegengesteuert werden“, betont Hubertus Schmoldt. „Berlin ist aufgefordert, bei diesen Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge zu übernehmen. Es ist besser und günstiger Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit.“
Im Übrigen, so Schmoldt weiter, „wäre es hanebüchen, in der jetzigen Lage die Beiträge zur Sozialversicherung zu senken. Wer das will, gefährdet die Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme insgesamt.“
Der Kommentar „Vor enormen Herausforderungen“ und das „Zehn-Punkte-Programm der IG BCE – Signal für wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung“ im Wortlaut:
In das Jahr 2008 sind wir mit Zuversicht gestartet. Dafür gab es auch gute Gründe. So war die Arbeitslosenquote auf den niedrigsten Stand seit 1993 gefallen. Der Aufschwung hatte sich zwar leicht abgeschwächt, doch die Konjunktur lief auf hohem Niveau stabil.
Allerdings tauchten auch erste dunkle Wolken am Horizont auf. Die Immobilienkrise in den USA kündigte sich an. Dass es ohne Schrammen nicht abgehen würde, war sehr bald absehbar. Doch niemand konnte ahnen, mit welcher Rasanz und unglaublichen Wucht diese Krise die globalen Finanzmärkte erfassen sollte.
Unterdessen sind die Auswirkungen in der Realwirtschaft angekommen. Die Zeichen für eine Rezession mehren sich, doch Dauer und Tiefe der Krise sind verlässlich nicht zu prognostizieren. Zudem gibt es nicht nur Hiobsbotschaften, sondern auch durchaus positive Daten. So sinkt der Ölpreis, das entlastet die Volkswirtschaft. Der fallende Euro-Kurs erleichtert der Exportindustrie das Geschäft.
Dennoch ist klar, 2009 wird ein außerordentlich schwieriges Jahr, wir stehen vor enormen Herausforderungen. Viele Menschen machen sich Sorgen um Arbeitplatz und Einkommen, das Gefühl der Unsicherheit nimmt zu. In dieser Lage gibt es überhaupt keinen Anlass zur Schönfärberei, das wäre geradezu verantwortungslos.
Wegducken hilft jedoch nicht weiter, wir müssen die Herausforderungen annehmen. Und es ist ja auch nicht so als wären wir völlig hilf- und schutzlos dem Treiben anonymer Marktkräfte ausgeliefert.
Die Regierungen haben Konjunkturpakete geschnürt, diesseits und jenseits des Atlantiks wird die Krise aktiv bekämpft. Auch Berlin hat einen Schutzschirm aufgespannt. Umstritten ist allerdings, ob die eingeleiteten Maßnahmen ausreichen werden. Die Vorschläge der IG BCE liegen auf dem Tisch. (Siehe „Schutzschirm für Arbeit“, Red.)
Einen Punkt möchte ich unterstreichen. In nicht wenigen Unternehmen neigt das Management noch immer dazu, auf die Krise reflexhaft und ideenlos zu reagieren. Wer meint, er könne die jetzige Situation für simple Kostensenkungsprogramme, Entlassungen und Sozialabbau nutzen, der muss wissen: Die IG BCE wird sich einer solchen Politik mit aller Entschiedenheit widersetzen.
Wir erwarten, dass sich die Vorstände von diesem überaus schädlichen Kurzfrist-Denken verabschieden und ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden.
Der Berliner Konjunkturgipfel hat hier wichtige Zeichen gesetzt. Große Unternehmen haben angekündigt, 2009 keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen. Dies ist sicher ein Signal für alle.
Das Desaster auf den Finanzmärkten und die realwirtschaftlichen Folgen zeigen in aller Klarheit: Die ausschließliche Orientierung an Renditezielen zeitigt über kurz oder lang tiefgreifende gesellschaftliche Verwerfungen. Marktwirtschaft funktioniert nicht von allein, sie braucht Regeln und Werte.
Die marktradikalen Kräfte – nicht zuletzt in Deutschland – stehen vor einem ideologischen Scherbenhaufen, sie sind grandios gescheitert.
Dies ist auch ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt für die Wahlentscheidungen im kommenden Jahr. 2009 stehen mehrere Landtagswahlen an, es wird über das neue Europa-Parlament entschieden und im Herbst über den Bundestag.
Die IG BCE ruft ihre Mitglieder auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Eine hohe Wahlbeteiligung stärkt die Demokratie.
Eine Einheitsgewerkschaft kann und wird keine Wahlempfehlung für eine Partei abgeben. Es kommt darauf an, die Kräfte der sozialen und ökonomischen Vernunft zu stärken. Von den Rändern kann die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft nicht kommen, Populismus löst keine Probleme.
Deshalb halten wir Kurs.
Schutzschirm für Arbeit
Das Zehn-Punkte-Programm der IG BCE – Signal für wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung
1. Abschied vom Kurzfrist-Denken
In nicht wenigen Unternehmen versucht das Management, die jetzige Situation für simple Kostensenkungsprogramme, Entlassungen und Sozialabbau auszunutzen. Die IG BCE wird sich einer solchen Politik mit aller Entschiedenheit widersetzen und erwartet, dass sich die Vorstände von diesem überaus schädlichen Kurzfrist-Denken verabschieden und ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden.
2. Schutzschirm für Arbeit
Es ist richtig, dass die Bundesregierung einen Schurzschirm für Arbeit aufgespannt hat. So gut es ist, mehr Geld beispielsweise in die Bildung oder Infrastrukturmaßnahmen zu stecken – das Gesamtvolumen bleibt hinter den Erfordernissen zurück.
3. Zügig handeln
Wir haben es nicht mit einer konjunkturellen Delle, sondern mit einer Krise zu tun. Eine Verschiebung erforderlicher – auch befristeter – Maßnahmen bis nach der Bundestagswahl wirkt da alles andere als überzeugend. So wird nur für die Ausbreitung einer zögerlichen Grundhaltung gesorgt. Auch das Überschuldungsargument zieht nicht. Je heftiger die Rezession sich entwickelt und je länger sie dauert, desto schwerer wird die Bürde, die die nachfolgende Generation zu tragen hat.
4. Steuerreform und Barschecks
Ein steigendes Bruttoeinkommen führt nicht automatisch zu einem entsprechenden Netto-Anstieg. Grund ist die sogenannte kalte Steuerprogression, betroffen sind vor allem auch die Arbeitnehmer. Schmilzt der Mittelstandsbauch, wird zugleich für mehr Gerechtigkeit und besser gefüllte Portemonnaies und so für eine gestärkte Binnennachfrage gesorgt. Deshalb fordert die IG BCE eine Steuerreform.
Um die Nachfrage weiter anzukurbeln, schlägt die IG BCE vor, an jeden Einwohner in Deutschland einen Barscheck über 250 Euro zu verteilen. Der Impuls zur Ankurbelung des privaten Konsums beträgt damit 20 Milliarden Euro. Damit dieses Geld auch tatsächlich schnell Wirkung entfaltet, müssen die Barschecks innerhalb von 90 Tagen ausgegeben werden.
5. Pendlerpauschale
Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Weg frei gemacht hat, fordert die IG BCE die unverzügliche Wiedereinführung der vollen Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer. Eine solche Regelung bringt mehr Netto in die Arbeitnehmerhaushalte und sorgt so für weitere Nachfrageimpulse.
6. Krankenkassen-Beiträge
Die Beiträge zur Krankenversicherung können von 2010 an steuerlich abgesetzt werden. Sinnvoll ist es, diese Regelung vorzuziehen. So könnten die Beitragsanstiege zum 1. Januar 2009 wenigstens zu einem Teil ausgeglichen werden.
7. Leiharbeit und Mindestlohn
Die Leiharbeit wurde über jedes vertretbare Maß ausgeweitet und benutzt, um Löhne und Sozialstandards zu drücken und Mitbestimmungsregeln auszuhebeln. Die Leiharbeit muss zurückgedrängt und dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder Geltung verschafft werden. Erforderlich ist ein gesetzlicher Rahmen, die Einzelheiten können tarifvertraglich geregelt werden.
Auch beim branchenbezogenen Mindestlohn steht eine Regelung noch immer aus. Die Koalition steht in der Pflicht, endlich ihre Beschlüsse aus dem Jahr 2007 umzusetzen.
8. Arbeitszeitinstrumente nutzen
Der IG BCE geht es jetzt vor allem darum, Beschäftigung zu sichern. Wenn ein Unternehmen in eine schwierige wirtschaftliche Phase geraten sollte, dann sind zunächst einmal die tariflichen Arbeitszeitregelungen zu nutzen. Wenn das nicht ausreichen sollte, müssen die arbeitmarktpolitischen Instrumente eingesetzt werden. Die Ausdehnung des Kurzarbeitergelds auf 18 Monate bietet eine effektive Überbrückungshilfe.
Wenn die tariflichen und die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten ausgereizt sind, kann über die Nutzung tariflicher Öffnungsklauseln gesprochen werden. Dabei gilt: Auch künftig werden die Öffnungsklauseln selbstverständlich nur nach präzisen Einzelfallprüfungen und für einen begrenzten Zeitraum angewendet.
9. Manager-Vergütungen
Kommt es zu Betriebs- oder Standortvereinbarungen, hat auch das Management materielle Einschnitte hinzunehmen. Dies ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Grundsätzlich ist zu überlegen, die Vergütungssysteme für Spitzenmanager auf eine neue Basis zu stellen. Es geht dabei im Wesentlichen um zwei Punkte. Kurzfristige, nur an der Rendite orientierte Anreize müssen runtergefahren und stattdessen vorausschauendes Handeln honoriert werden. Zweitens müssen Leistung und Einkommen wieder in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden.
10. Dividende
Im kommenden Frühjahr wird über die Dividendenausschüttungen für das Jahr 2008 entschieden. Auch hier stellt sich die Glaubwürdigkeitsfrage. Die IG BCE erwartet von den Vorständen eine klare Haltung. Es kann nicht angehen, die Aktionäre bedienen und gleichzeitig die Beschäftigen schröpfen zu wollen. Entscheidend in der augenblicklichen Lage sind eindeutige Signale der wirtschaftlichen Vernunft und der sozialen Verantwortung.
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